Bildband - Puppensammlung Neckarau

Leseprobe

Puppengeschichten

Im Keller vergessen

Die Tante von Frau Schönleber war sechs Jahre alt, als sie 1939 die Schildkröt-Puppe Inge bekam.
Während des Krieges hatte sie die Puppe überall mit hin genommen, auch im Luftschutzkeller war sie dabei, als die Bomben fielen. Als die Familie ins Elsass evakuiert wurde, war auch die Puppe mit dabei. Nach Kriegsende landete die Puppe im Keller und kümmerte vor sich hin, ganz traurig, weil sich niemand um sie kümmerte. In der Zwischenzeit war die alte Tante gestorben. Familie Schönleber räumte 1998 den Keller und fand die Schildkrötpuppe unter altem Gerümpel. Sie war in einem erbärmlichen Zustand und weinte vor sich hin. Das linke Bein war gerissen und das Gesicht sah fürchterlich aus. Die Vorderseite des Gesichts war in kleinen Teilen zersplittert, die im Innern des Kopfes lagen, ebenso die Augen. Die Nase hing noch an einem kleinen Stückchen nach innen. Um das rechte Auge herum war alles ausgebrochen. Stirn und Teile des Kopfes waren gerissen, ebenso der Hinterkopf. Außerdem befand sich am Hinterkopf ein Loch von ca. 2,5 x 3 cm Größe. Frau Schönleber wollte die Puppe zuerst wegwerfen, aber dann tat sie ihr doch leid. Als sie zufällig meine Anzeige las, rief sie mich an und verkaufte sie mir für 30.– DM. In mühevoller Kleinarbeit flickte ich die Inge wieder zusammen. Nun strahlt sie wieder und freut sich, dass sie unter anderen Puppen sitzt. Dass man das Zusammengesetzte sieht, stört sie nicht. Sie hat Ihnen viel zu erzählen aus der Vergangenheit.
Das Bild entstand 1960, als der zweijährige Sohn von Frau Schönleber bei seiner Tante zu Besuch war. Damals hat ihr Hund das Bein zerbissen.

Mannheim, Mai 1999     Gerhard Ruf

 

Inge im Orangenkisten-Puppenwagen

Ich bin 1944 geboren und bekam 1948 oder 1949 meine Puppe Inge geschenkt. Mein Vater fuhr von Nesselwang nach Füssen und wollte ein Schaf mit zwei Lämmern kaufen, ein weißes und ein schwarzes. In Füssen sah er in einem Laden die Puppe Inge mit rotem Kleid und rotem Höschen. Dabei dachte er gleich an seine jüngste Tochter, die sich so sehr eine Puppe wünschte. Er überlegte nicht lange, sondern sagte zu dem Verkäufer, er solle die Puppe einpacken, auf dem Rückweg würde er sie mitnehmen. Bezahlt hat er sie gleich. Nun ging er zuerst zu dem Bauern und kaufte die Schafe. Die zwei Lämmer verfrachtete er auf den Fahrrad-Anhänger und das Schaf band er hinten an. Dann fuhr er mit dem Fahrrad samt Anhänger zu dem Verkäufer und holte die Puppe ab. Er ließ sich noch eine alte Decke geben, um die Puppe gut zu verpacken, damit sie nicht kaputt ging. Als er zu Hause ankam, sagte mein Vater: „Kind sieh mal da, was ich für dich mitgebracht habe.“ Ich packte das Paket aus, und hervor kam die Puppe. Vor lauter Freude rief ich begeistert: „Oh, wie ist die schön.“ Ich nahm sie in die Arme, wiegte sie hin und her, streichelte sie und drückte sie immer wieder an mich. Meine Mutter sagte neckend zu mir: „Schleck‘ sie nicht ab, sonst geht die Farbe ab.“ Als meine elf Jahre ältere Schwester nach Hause kam, freute sie sich mit mir, dass ich so eine schöne Puppe bekommen hatte. Die Inge war 42 Zentimeter groß. Mein Vater nahm eine Orangenkiste in Eierform, darunter baute er 4 Räder und darüber spannte er Weidenruten. Meine Mutter nähte mit der Handnähmaschine den Stoff und spannte ihn über den so entstandenen Wagen. Nun konnte ich meine Puppe spazieren fahren und manchmal legte ich auch unsere Katze hinein. Der gefiel es, dass sie herum gefahren wurde. Ich hegte und pflegte meine Inge, bis wir 1950 in die Pfalz nach Zeiskam zogen. Meine Schwester hatte ihr den Namen Barbara gegeben, aber ich hasste diesen Namen und wollte meine Inge auch Inge nennen. Meine Schwester wollte mich nur ärgern. Zu meinen Eltern sagte ich: „Ich möchte gern noch eine Puppe.“ Meine Mutter antwortete mir: „Wenn du ein großes Osternest baust, dann bringt dir der Osterhase noch eine Puppe.“ Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ich besorgte mir eine größere Holzkiste ohne Deckel und baute darin ein Nest aus Stroh und Heu. 1953 am Ostermorgen rannte ich gleich, noch vor dem Frühstück, an meine Kiste. Wie habe ich mich gefreut, eine Schildkröt-
Puppe lag darin, es war eine Christel, 64 Zentimeter groß. Ich nahm sie heraus und rannte zu meinen Eltern, um sie zu zeigen. Meine Mutter hatte vorher ein gelbes Kleid mit Blümchen genäht, eine Mütze und Unterwäsche. Für die Füße hatte sie rote Halbschuhe gestrickt Die Puppe sah wundervoll aus und passend zur Puppe bekam ich aus demselben Stoff einen Stufenrock. Einmal spielte ich mit Inge und dann wieder mit Christel. Wenn die Nachbarskinder bei mir waren, wurden die Puppen weggeschlossen, denn sie machten mir immer alles kaputt.
Ein Jahr später bekam ich noch eine kleine Christel, so etwa 20 Zentimeter groß. Doch brach mir beim Anziehen der Körper entzwei, worüber ich sehr weinen musste, aber ich hatte ja noch meine Inge und Christel.
Meine Schwester war inzwischen verheiratet und hatte 1958 eine Tochter bekommen. Meine Mutter schenkte meine Inge ihrer Enkeltochter und sagte zu mir: „Du bist ja schon groß und brauchst keine zwei Puppen mehr zum Spielen.“ Ich war darüber sehr traurig und ärgerlich und schimpfte mit meiner Mutter. „ All die Jahre hat mich meine liebe Inge begleitet und nun schenkst du sie her!“ Meine Christel liebte ich über alles und wenn meine Schwester mit ihrem Kind kam, schloss ich meine Christel in den Schrank ein und versteckte den Schlüssel. Auch meine Schwägerin hätte die Christel zu gerne ihrer Tochter gegeben. Meine Mutter saß inzwischen im Rollstuhl. Als sie mitbekam, dass meine Schwägerin die Puppe haben wollte, kam sie angerollt und schrie meine Schwägerin an: „Was willst du hier? Wenn du für deine Tochter eine Puppe brauchst, dann kauf sie dir selbst, mach dass du verschwindest!“ Die vielen Jahre über habe ich meine liebe Christel behütet und gepflegt und sie hat mehrere Umzüge überlebt. Ich besitze sie noch heute und alles ist ganz. Nur das Gummi von Armen und Beinen musste gewechselt werden. An Ostern habe ich meine Christel bereits 58 Jahre.

Mannheim, Februar  2011          Gerhard  Ruf

 

Firma Schildkröt

Die Firma Schildkröt-Puppen, vormals Rheinische Gummi- und Celluloidfabrik, wurde 1873 in Mannheim-Neckarau gegründet. Zelluloid ist ein plastischer und vielseitig verwendbarer, aber auch extrem feuergefährlicher Kunststoff, das älteste Thermoplast (durch Wärme (ver)formbarer Kunststoff).1896 wurde die erste Puppe aus Zelluloid produziert. Dieses Material war eine Revolution in der Puppenherstellung, da Zelluloid bruchfest, abwaschbar, farbecht und hygienisch ist. Das Warenzeichen, die „Schildkröte“, war im Kaiserlichen Patentamt in Berlin eingetragen worden. Die Puppen mit dem Warenzeichen Schildkröt wurden in den folgenden Jahrzehnten zu einem der größten Exportschlager der deutschen Industriegeschichte und trugen den Namen Neckaraus in die ganze Welt.

1898 wurde das 25-jährige Bestehen der Firma gefeiert. Aus diesem Anlass erschien eine Festschrift, die vor allem auch auf die vorbildlichen Sozialeinrichtungen hinwies. Es bestanden damals schon eine Betriebskrankenkasse, zwei Fabrikkantinen und eine Kohlenkasse, die die Belegschaft mit billigem Strom versorgte. Im letzten Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg wurden die Produktionsanlagen für alle Fertigungsbereiche, und zwar auf ihren höchsten Stand, ausgedehnt. Die Zahl der Beschäftigten betrug mehr als 6.000 Personen. Inzwischen war fast jede Neckarauer Familie direkt oder indirekt mit der Rheinischen Gummi verbunden.

Der Erste Weltkrieg wirkte sich nachhaltig destruktiv auf die wirtschaftliche Lage des Betriebes, in allen Produktionsbereichen, aus. Das 50-jährige Jubiläum 1923 war überlagert von wirtschaftlichen Sorgen und düsteren Zukunftsprognosen. Fehlinvestitionen führten schließlich dazu, dass die Firma sich nicht mehr aus eigener Kraft aus den wirtschaftlichen Schwierigkeiten befreien konnte. 1929 gingen die Aktien in die Hände des IG Farben-Konzerns über. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise kam es zu Unterbeschäftigung und Massenentlassungen.

Die Entwicklung neuer Kunststoffe auf der Basis von Mischpolymerisation und die Entwicklung von PVC-Kunststoffen führten ab 1932 bis 1939 zu einem Zwischenhoch, wobei das Niveau von 1914 fast wieder erreicht wurde. Der Zweite Weltkrieg setzte auch diesem Aufschwung ein jähes Ende. Trotz erheblicher kriegsbedingter Beschädigungen der Werksanlagen wurde der Betrieb fortgesetzt. Nach der Beschlagnahmung durch die Amerikaner wurde die zivile Produktion mit der Herstellung von Gummischuhsohlen und Regenmantelfolien wieder aufgenommen, nach der Aufhebung aller Einschränkungen durch die Amerikaner 1952 konnte die Rheinische Gummi an die WASAG-Chemie Essen übergehen. Ab 1954 begann für die Rheinische Gummi das eigentliche Kunststoff-Zeitalter und die Kunststoff-Fabrik rückte an die Spitze aller Betriebsabteilungen.

Auch im traditionellen Bereich der Puppenproduktion ersetzten von 1955 an andere Rohstoffe das Celluloid. 1967 wurde die Produktion von Gummi-Artikeln aufgegeben und ein neuer schwer entflammbarer Werkstoff, das Tortulit entwickelt.

Ab 1965 firmierte das Unternehmen unter Schildkröt AG, vorm. Rheinische Gummi-und Zelluloidfabrik. Vertriebsfirmen in Amerika und Frankreich wurden gegründet. Ab 1970 wurden die beiden Hauptsparten Halbzeug und Fertigwaren organisatorisch und rechtlich getrennt. Es entstanden die Schildkröt_Trix GmbH mit der Puppen- und Spielwarenproduktion und die Schildkröt-Kunststoffwerke AG, die 1971 in den Besitz der Firma Braas & Co GmbH überging. 1975 wurde die Schildkröt-Puppen-Produktion in Neckarau aufgegeben. Zum 1. Januar 1993 wurde der Sitz nach Rauenstein in der Nähe des traditionsreichen Spielzeugstandortes Sonneberg verlegt.

Schildkröt produziert heute in der Klassik Kollektion Replikas in begrenzter Auflage. Diese Puppen sind Zweitauflagen von alten Modellen. Das Material der Zweitauflage ist heute Tortulon, ein hochwertiger Kunststoff, der sich wie Zelluloid verarbeiten lässt, aber im Gegensatz dazu nicht brennbar ist. Die bekanntesten Modelle sind Hans, Bärbel, Inge, Erika und Christel.

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