Abenteuer Afrika - Mit dem Zug der Störche

Leseprobe

Kapitel I


Herbst 1831

Es regnet in Strömen und Wilhelm ist selbst das Fluchen zu anstrengend. Die tropfnassen Kleider hängen ebenso schwer an ihm herunter wie sein Herz in seiner Brust lastet.

„Wir dürfen uns nie mehr wiedersehen!“ und „Ich liebe dich!“ waren ihre Worte beim Abschied. Einem Abschied auf ewig, den er selbst verschuldet hat. Das Rinnsal, das über seine Wangen läuft, ist vermischt mit seinen salzigen Tränen. Das Herz will ihm bersten und er brüllt seinen Schmerz in die Einsamkeit des dämmrigen Waldes. Der Esel, den er hinter sich an einem Strick mitführt, springt daraufhin erschrocken zur Seite und gleitet im Schlamm auf dem jetzt rutschigen, verkarsteten Untergrund aus. Dessen „Iiiaah!“ gesellt sich zum Echo seines Schreis und durchbricht das gleichmäßige Rauschen des auf die immergrünen Blätter der Steineichen prasselnden Regens.

Wilhelm hilft dem zur Seite gerutschten Tier wieder auf die Beine, indem er sich seinem Gewicht entgegenstemmt und es am Geschirr hochzerrt. Er hat den Esel einem Bauern in Termoli abgekauft, nachdem feststand, dass er besser unverzüglich Stadt und Land verlässt und nicht mehr auf die nächste Postkutsche Richtung Rom wartet. Er muss weit weg sein, bevor ihn der Zorn des Conte La Portarella über den vermutlich bald eintretenden Tod seines Sohnes treffen kann, obwohl das Unglück durch ein ordnungsgemäßes Duell geschah. Wilhelm hat keinen Beweis dafür, keinen Sekundanten, der für ihn zeugen würde, dass es kein heimtückischer Mord war. Denn Domenico war ein hervorragender Degenfechter und Wilhelm weiß, dass einzig die Unbesonnenheit, die dem Sohn des Grafen in dessen Wut den Verstand vernebelte, ihm selbst das Leben gerettet hat – vorläufig …

„Wäre ich nur an seiner statt gestorben!“, stößt Wilhelm in seinem jetzt aufwallenden Selbstmitleid aus, während er seine Gepäckstücke und Reisetaschen wieder auf dem Rücken des Esels festzurrt. Weit wird er es heute nicht mehr durch die Abruzzen schaffen. Wilhelm kann vor Erschöpfung kaum noch die Beine heben. Seine Zähne klappern ihm vor Kälte, sein Magen knurrt und der Esel verweigert sich auch immer öfter. Die letzten Olivenhaine, Weinberge und Weiden hat er bereits lange hinter sich gelassen. Ein wärmendes Feuer und ein trockener Schlafplatz dürften ihm für ein paar Stunden gegönnt sein, gesteht sich Wilhelm zu und blickt sich in der Schlucht nach einem passenden Unterstand um.

Ein überhängender Felsen, der gerade genug Raum für einen liegenden Mann und eine kleine Feuerstelle darunter bietet, fällt ihm ins Auge. Er bindet den Esel am Stamm eines goldgelb verfärbten Kastanienbaumes an, befreit ihn von seiner Last, hängt ihm einen Beutel mit Hafer und Heu um den Hals und sucht sich etwas einigermaßen trockenes Feuerholz. Die Pfütze, die sich unter dem Felsen gebildet hat, schüttet er mit Sand zu, den er an anderer trockener Stelle mit seinen Händen ausgräbt, und scharrt Laub und Piniennadeln zusammen, die zum Untergrund für seine schon feuchte Schlafdecke werden. In Ermangelung von Kochgeschirr wirft er ein paar Maronen, die er im Umkreis seiner Schlafhöhle findet, in die Glut am Rande seines kleinen Feuers. Er zieht sich nackt aus und hängt seine Kleidungsstücke über in die Erde gerammte Stöcke, in der Hoffnung, dass sie bis zum Morgen trocknen und nicht nur nach Rauch stinken werden. Einzig in seine Decke gehüllt, angelt Wilhelm die heißen Kastanien aus dem Feuer, die er hungrig und zu müde, um aufzustehen und sein Messer aus der Tasche zu holen, aus der Schale beißt. Ihre mehlige Konsistenz macht ihn durstig und er kann es kaum erwarten, bis sich etwas Regenwasser in seinem vor dem Felsüberhang aufgestellten Becher sammelt. Mit einem letzten wehleidigen Gedanken an Domenicos Schwester Giuliana fällt er in einen traumlosen Schlaf.


•••


Geräusche von Bewegung in seiner Nähe, Schritte auf dem matschigen Waldboden und das Schreien seines Esels lassen ihn aus seinem Schlaf aufschrecken und hochfahren. Letzteres hätte er lieber bleiben lassen, denn nun hält man ihm eine alte Steinschloss­pistole unter die Nase. Drei bärtige Kerle haben seinen Lagerplatz und sein Hab und Gut in Beschlag genommen, wie er im Schein ihrer Fackel erkennen kann. Aber die drei heruntergekommenen Briganten scheinen nicht zufrieden mit ihrem Fund. Seine gesamte Bekleidung, die er in seiner Reisetasche verwahrt hatte, liegt neben seiner übrigen Ausrüstung wie Thermometer und Barometer, Schreib- und Zeichenwerkzeug auf dem matschigen Boden. Gottlob, hat er seine Taschenuhr und sein Geld im doppelten Deckelboden seines Zylinderhutes versteckt, den sie achtlos zur Seite geworfen haben. Stattdessen schneiden sie gerade das Futter seiner geleerten Reisetaschen auf.

Wilhelm ist erleichtert, als er kalten Stahl neben seinem Bein fühlt. Wie gut, dass er wenigstens die preußische Muskete mit in seine Schlafdecke eingewickelt hatte, auch wenn er sie jetzt nicht einzusetzen gedenkt. Er beschließt zunächst, die Briganten – diese gesetzlosen Freischärler, welche in der Regel nur Landbesitzer und die Obrigkeit terrorisieren – in ihrer Suche zu unterbrechen und ihnen einen Handel vorzuschlagen. Denn ihre Ortskenntnis könnte ihm nützlich sein und es ist besser zu wissen, wo sich der Feind befindet, als sich ständig in unsichtbarer Gefahr zu wähnen.

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Wilhelm Schimper, Reisender und Naturforscher“, beginnt er freundlich lächelnd auf Deutsch, damit sie gleich wissen, dass er ein Ausländer ist, vor dem sie nichts zu befürchten haben und der nicht zur Klasse der hiesigen Adligen gehört. Auf ihre verständnislosen Blicke hin, die sie sich zuwerfen, versucht er mit seinen wenigen italienischen Brocken zu erklären, dass er nach Rom möchte, sein Geld beim Spiel verloren habe und deshalb zu Fuß gehen müsse. Als er ihnen sagt, dass er sie für ihre Hilfe in Rom mit einem Louisdor für jeden entlohnen würde, da er dort noch Geld bei einem Freund hinterlegt habe, beginnen ihre Gesichter breit zu grinsen und der nach Schwarzpulver stinkende Pistolenlauf unter seiner Nase verschwindet.

Der muskulöseste von den Dreien, der auch der Besitzer der Pistole ist, nickt ihm zu: „Sì, sì!“, und bestätigt mit Handschlag, woraufhin die beiden anderen sogar beginnen, seine Sachen wieder, wenn auch ungeordnet und jetzt verschmutzt, in seine Reisetaschen zu stopfen. Wilhelm schlüpft in seine noch immer nasse Kleidung, da sie ihn zum sofortigen Aufbruch auffordern, und hängt sich sein Gewehr um, welches den Briganten nach dessen unerwartetem Auftauchen sichtlich Respekt einflößt. Derjenige, welcher ihr Anführer sein muss, brummt unwillig, denn Wilhelm ist nun mit dieser Waffe eindeutig im Vorteil. Er ist sich jetzt allerdings darüber im Klaren, dass er es von nun an wie seinen Augapfel hüten muss, selbst im Schlaf.

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